Nach 31 Jahren an der HAWK, davon 14 Jahre als Vizepräsident für Forschung und Transfer, verabschiedet sich Prof. apl. Prof. Dr. Wolfgang Viöl in den Ruhestand. Pünktlich zu seinem 66. Geburtstag zieht sich der habilitierte Physiker und Vater von 4 Kindern aus dem aktiven Hochschulalltag zurück, um sich künftig auf ausgewählte Projekte zu konzentrieren.
Im Rahmen des Netzwerktreffens „Vision 2050“ hielt Viöl vor rund 250 Gästen seine Abschiedsvorlesung in der Göttinger Sheddachhalle. Unter dem Titel „Es wird Zeit, sich um 99 % statt nur um 1 % der Materie zu kümmern“ gab der Plasmaforscher einen Einblick in die faszinierende, aber komplexe Welt der Plasmaphysik. Von den molekularen Grundlagen des kalten Plasmas bis hin zu ganz praktischen Anwendungsmöglichkeiten, die Viöl in seiner Laufbahn maßgeblich mitentwickelte, beispielsweise in der Plasmamedizin, der umweltfreundlichen Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft und der Oberflächenbehandlung in der Industrie.
Rund 250 Wegbegleiter*innen aus Wissenschaft, Politik und seinem privaten Umfeld waren gekommen, um mit ihm seinen Abschied von der HAWK zu feiern – „wir feiern heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, wie HAWK-Präsident Dr. Marc Hudy betont. Er charakterisierte Wolfgang Viöl als Vizepräsidenten, als Netzwerker und als Kollegen und zeichnete anhand zahlreicher Anekdoten ein Bild: von seiner stoischen Beharrlichkeit, mit der er Rückschläge hinnahm und einfach weitermachte, von seiner Fähigkeit, Menschen zu begeistern und ihnen auch komplexe Themen nahezubringen, und von seiner Empathie und Teamfähigkeit. „Er versteht es, zu begeistern und Forschung nahbar zu machen, nicht mit langen Reden, sondern mit ganz anschaulichen Dingen. Als Teamplayer hat er nie versäumt, auf das dahinterstehende Team hinzuweisen. Und seine Beharrlichkeit zieht sich auf beeindruckende Weise durch sein Wirken“, so Hudy.
Dr. Gabriele Andretta, Präsidentin des Niedersächsischen Landtages a. D., hob das politische Engagement Viöls hervor und gab einen Überblick über sein Wirken in der niedersächsischen Hochschulpolitik. So sei er ein großer Fürsprecher der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWen) und habe gründlich mit Vorurteilen gegenüber dieser Hochschulform aufgeräumt. Er habe sich neben vielen anderen Beteiligten auch für die Gründung des Gesundheitscampus Göttingen (GCG) eingesetzt und sei einer der Vorreiter in der Akademisierung der Gesundheitsberufe gewesen. Auch in Bezug auf das eigenständige Promotionsrecht für HAWen habe Viöl große Hartnäckigkeit bewiesen und so maßgeblich dazu beigetragen, dass eine entsprechende Gesetzesnovelle in den kommenden Monaten im Niedersächsischen Hochschulgesetz verankert werden soll. „Sie sind ein Glücksfall – nicht nur für Göttingen, nicht nur für Südniedersachsen, sondern für ganz Niedersachsen“, wandte sich Andretta an Viöl.
Prof. Dr.-Ing. Podolsky, Dekan für Ingenieurwissenschaften an der HAWK, und Prof. Dr. Christoph Russmann, geschäftsführender Dekan für Gesundheit, hoben Viöls Einsatz für die Forschung an der HAWK hervor, deren Erfolg sich in der erfolgreichen Einwerbung von Fördermitteln in Millionenhöhe, zahlreichen Mitarbeitenden seiner Forschungsgruppe, Patenten, Publikationen und Ausgründungen zeige. Prof. Dr. Steffen Emmert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie der Universitätsmedizin Rostock, erinnerte in einem weiteren Grußwort an die gemeinsame Arbeit in der Plasmamedizin und die damit verbundenen wissenschaftlichen Erfolge.
In persönlichen Worten dankte Viöl allen, die ihn auf seinem Weg unterstützt hätten, besonders aber seiner Familie: seiner Frau Anke, die ihm Halt, Inspiration und Balance gegeben habe, und seinen 4 Kindern, von denen er gelernt habe, offen zu sein, zuzuhören und Dinge immer wieder neu zu hinterfragen. „Ohne meine Familie stände ich nicht hier, so wie ich bin, dafür danke ich euch von Herzen.“
Von Düsseldorf nach Göttingen
Wolfgang Viöl wuchs in Düsseldorf auf und spielte in seiner Jugend mit dem Gedanken, eine Laufbahn in der Medizin einzuschlagen. Während seiner Schulzeit wuchs jedoch seine Begeisterung für die Physik, sodass er sich letztlich gegen ein Medizinstudium und für ein Studium der Physik entschied – die Medizin sollte ihn jedoch auch in seiner späteren Forschung weiter begleiten.
Sein Studium absolvierte er an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, wo er 1988 zu laserinduzierten Plasmen promovierte. Anschließend arbeitete er am dortigen Institut für Laser- und Plasmaphysik und schloss 1994 seine Habilitation für das Fach Experimentalphysik an. Am 1. Februar 1994 fand Viöl schließlich seinen Weg an die HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen, zunächst als Vertretungsprofessor für Laserwerkstoffbearbeitung. Schon im September des gleichen Jahres hielt er mit 35 Jahren seine Berufungsurkunde als ordentlicher Professor in den Händen. Seiner Alma Mater blieb er bis 2001 als Privatdozent verbunden. Seit 2011 trägt er darüber hinaus den Titel eines außerplanmäßigen Professors (apl. Prof.) an der TU Clausthal, wo er seit 2001 ebenfalls als Privatdozent tätig war.
Forscher, Erfinder, Preisträger
Als Forscher warb Viöl mit seinen Projekten immer wieder erfolgreich Drittmittel für die HAWK ein. In seiner Laufbahn veröffentlichte er weit mehr als 50 Patentfamilien und 300 Publikationen. Speziell am Herzen liegen ihm dabei medizintechnische Entwicklungen. Sein besonderer Stolz: Ein Gerät, das Wundheilung durch kaltes Plasma unterstützt und selbst Patient*innen mit schwer therapierbaren Wunden Hoffnung gibt. Als es auf den Markt kam, war „PlasmaDerm“ weltweit das erste zugelassene Medizinprodukt mit Kaltplasma-Technologie. „Die Plasmamedizin ist für mich die schönste Erfindung“, sagt Viöl heute. „Wir können Menschen in Not eine ganz neue Perspektive geben.“
Viöl wurde unter anderem 2007 mit dem Niedersächsischen Wissenschaftspreis als herausragender Wissenschaftler geehrt, 2004 erhielt er den Kooperationspreis des Landes Niedersachsen für erfolgreiche Partnerschaften zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, und 2015 den Joseph-von-Fraunhofer-Preis „Technik für den Menschen“.
2012 übernahm Viöl die Leitung des neu gegründeten Fraunhofer Anwendungszentrum für Plasma und Photonik. Dass dieses mit der HAWK an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften angesiedelt ist, ist in erheblichem Maße seinem Engagement zu verdanken.
Vizepräsident mit Leidenschaft
Seit Mai 2011 ist Wolfgang Viöl als Vizepräsident für Forschung und Transfer in der Hochschulpolitik sowie der strategischen Entwicklung der Hochschule aktiv – und das mit sichtbaren Erfolgen: In seiner 14-jährigen Amtszeit konnte die HAWK ihre eingeworbenen Drittmittel verdreifachen. Zuletzt war er beispielsweise federführend an dem Antrag für das Förderprogramm „Potenziale strategisch entfalten“ des Landes Niedersachsen und der Volkswagenstiftung beteiligt, bei dem die HAWK die maximal mögliche Fördersumme von 14 Millionen Euro erreichte. 2019 warb er, gemeinsam mit der Universität Göttingen, 11 Digitalisierungsprofessuren ein. Als eine von nur 5 Hochschulen für angewandte Wissenschaften bundesweit konnte die HAWK in Viöls Amtszeit außerdem einen 4. Forschungsschwerpunkt etablieren.
Ein weiterer Meilenstein in seiner Amtszeit als Vizepräsident ist die Gründung des Gesundheitscampus Göttingen, einer Kooperation der HAWK und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), für die er sich früh stark gemacht hatte. Außerdem setzte sich Viöl engagiert für das Promotionsrecht für Hochschulen für angewandte Wissenschaften ein.
„Für mich war es eine der besten Entscheidungen, im Präsidium der HAWK zu arbeiten“, blickt er heute zurück. „Ich konnte die Hochschule strategisch nach vorne bringen und habe sehr viel Verständnis für andere Fachdisziplinen gewonnen.“ Die Interdisziplinarität – ob in der Forschung oder in der Hochschulentwicklung – sieht Viöl als einen der wertvollsten Aspekte seiner Tätigkeiten. „Man ist auf die anderen Personen angewiesen, findet gemeinsame Lösungen und teilt auch persönlich wunderschöne Erlebnisse.“
Wegbereiter für das Deutschlandstipendium an der HAWK
Ein besonderes Herzensprojekt von Viöl ist das Deutschlandstipendium an der HAWK, für das er zu Beginn seiner Vizepräsidentschaft die Schirmherrschaft übernommen hat. Als Einzelkämpfer begann er zunächst, Stipendiengeber*innen anzuwerben. Seitdem konnte er ein Fundraising-Team aufbauen, das regelmäßig neue Rekorde bei der Anzahl der Stipendien erreichte. Zuletzt konnte die HAWK knapp 3 Prozent ihrer Studierenden mit einem Deutschlandstipendium fördern.
Füße hoch im Ruhestand? Nein, danke!
Nun freut sich Wolfgang Viöl auf eine Zeit mit weniger Terminen und Verpflichtungen – auch wenn er die Hochschule und die Forschung nicht ganz hinter sich lassen will. „Ich will auch in Zukunft keine Kreuzworträtsel, sondern echte Probleme lösen“, so der Wissenschaftler. So plane er, weiter als Mentor und Berater für Ausgründungen und kleine Unternehmen tätig zu sein oder Doktorarbeiten zu betreuen. Ansonsten freue er sich auf handwerkliche Projekte, Reisen mit seiner Frau und Zeit mit seiner Familie – und auf die Gelegenheit, einmal in Ruhe auf das Erreichte zurückzublicken: „Wenn man nach vorne schaut, sieht man, wie langsam alles geht. Aber wenn man zurückblickt, merkt man doch, was man alles bewegt hat.“